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Wie erkenne ich echte SI-Therapie?

Leider ist der Anlass aktuell: Familie A. kommt mit ihrem Sohn Moritz* zur Befundung und berichtet, dass er ja schon ein Jahr lang SI hatte. Ob sie das näher beschreiben könnten, frage ich. Ja, es wurden sensomotorische Übungen gemacht in einem Raum, der so ähnlich aussah wie unser SI-Raum. Ob die Therapeutin eine Ergotherapeutin war, frage ich. Das wissen die Eltern  nicht. Meine Gegenprobe: ob sie mit der Krankenkasse rückverrechnen konnten. Nein, eigentlich haben sie gar keine Rechnungen bekommen. Und auch keinen Befund. Und ich muss den Eltern sagen, dass ihr Kind leider nicht SI-THERAPIE bekommen hat, wie sie annahmen, sondern wahrscheinlich ein pädagogisches sensomotorisches Förderprogramm.  

 

Der Begriff "Sensorische Integration" zieht, und viele versuchen, auf der Welle mitzuschwimmen. Konsumentenschutz,  Transparenz und Wissen gibt es wenig , obwohl die Situation eigentlich ganz klar ist. Dieser Blogbeitrag soll helfen, diese Klarheit auch öffentlich zu machen!

 

Hauptaussage: Es ist ganz klar definiert, was SI-Therapie ist und wer sie durchführen kann. Seit 2011 gibt es nämlich ein sogenanntes ASI Fidelity Measure, ein Messinstrument, in dem die Kernelemente der SI-Therapie definiert sind und das in der Forschung dazu benutzt wird zu messen, ob die Therapie einer Studie tatsächlich Ayres' SI-Therapie ist. Hier die Details:

 

1. SI-Therapie kann nur von einer ausgebildeten Ergo- oder Physiotherapeut:in mit einer Zusatzausbildung in ASI durchgeführt werden.

Schon die Urheberin der Sensorischen Integration, Dr Jean Ayres, hat diese Bedingung aufgestellt. Dieses Kriterium schafft Klarheit darüber, ob Pädagog:innen oder Therapeut:innen ohne SI-Zusatzausbildung SI-Therapie anbieten können.

 

2. Am Beginn der Therapie muss eine umfassende Befundung stehen, die die Modulation und Perzeption der Nahsinne (Gleichgewichts-, Berührungs- und Kraftsinn) und der Praxie enthält. Sie muss indirekte Verfahren (Fragebögen) und direkte Beobachtung kombinieren und wenn es mit dem Kind durchführbar ist, standardisierte Tests der sensorischen Leistungen einsetzen. Der Goldstandard ist der EASI, eine Testbatterie, die für Kinder von 3-13 Jahren normiert ist. Ein aussagekräftiger schriftlicher Befund ist nicht zwingend, aber jedenfalls ein Zeichen guter Qualität.

 

3. Die Kommunikation mit den Eltern ist ein essenzieller Bestandteil der SI-Therapie. Ohne geht es nicht. Die Therapieziele werden gemeinsam mit den Eltern festgelegt, sie werden über die Zusammenhänge zwischen der Sinnesverarbeitung und der Alltagsbewältigung ihres Kindes aufgeklärt und bekommen Anregungen, wie sie den Alltag förderlich für ihr Kind gestalten können, sodass es sich "wohl in seiner Haut fühlt" (Dr. Ayres).

 

4. Ein großer Therapieraum mit mindestens 3 Aufhängungen und viel Ausstattung an Matten, Pölstern, diversen Therapieschaukeln, Klettermöglichkeiten, taktilen Kisten und vielen schweren Objekten ist eine Bedingung für SI-Therapie. SI-Therapie kann weder in einer Schule noch auf einem Spielplatz durchgeführt werden. Auch ein Turnsaal, der vielleicht gut für Psychomotorik geeignet ist, bietet nicht die Ausstattung und Flexibilität, die für echte SI-Therapie nötig ist. Golstandard ist hier ein Therapieraum, der so groß ist, dass 2 oder mehr Therapeut:innen darin arbeiten können, jede mit ihrem eigenen Therapiekind (also immer 1:1 Behandlung). Dies ermöglicht Arbeit an sozialen Interaktion in einem ganz natürlichen, geschützen Rahmen.

 

Sind diese 4 Grundvoraussetzungen erfüllt, kann man echte SI-Therapie an folgenden Merkmalen erkennen:

  • Die Therapeut:in hat die Stunde nicht vorausgeplant, sondern entwickelt sie im Verlauf der Einheit gemeinsam mit dem Kind. Das Kind kann dabei entscheiden, was es machen möchte. Die Therapeut:in hat keine Übungen und gibt keine Anweisungen. Sie hat vielmehr Vorschläge und Angebote und überlässt dem Kind maximale Selbstorganisation. Sie  unterstützt nur soviel wie nötig (was bei einem sehr unorganisierten Kind heißen kann, dass es die Therapeutin führt und anleitet, aber eben nur soviel wie nötig, damit da Kind selbst eine Handlung aufnehmen kann.)
  • Die Therapeut:in bietet verstärkten Input aus mindestens 2 der 3 Nahsinne an. Eine Stunde lang in einer Bohnenkiste zu wühlen ist also keine SI-Therapie, ebenso wie Sitzen am Tisch nie SI-Therapie ist. (Das soll nicht heißen, dass eine Ergotherapeut:in nicht auch feinmotorische Aktivitäten am Tisch oder Selbsthilfetraining in ihre Ergotherapiestunde einbauen kann. Doch diese Teile sind nicht SI-Therapie.)
  • Die Therapeut:in findet genau die richtige Herausforderung für das Kind, die eine gewisse Anstrengung erfordert, aber vom Kind gemeistert werden kann. Diese Momente, in denen das Kind fühlt "Ich hab's geschafft!", sind eine wesentliche Komponente des Therapieerfolgs.
  • Die Beziehung zwischen Kind und Therapeut:in ist anders als in anderen Therapie- oder pädagogischen Ansätzen: sie sind Verbündete, Partner auf Augenhöhe. Die Therapeut:in geht respektvoll mit dem Kind um, sie unterstützt das Kind und arbeitet mit ihm zusammen. Sie bringt ihm nichts bei und maßregelt es nicht. Sie schafft optimale Gelegenheiten, in denen das Kind sein Potenzial entfalten kann und Erfolgserlebnisse hat.

Ein letztes Kriterium, das einfach zu überprüfen ist:

Eltern, fragt die Therapeut:in nach ihrem SI-Zertifikat! Und Therapeut:innen, hängt euer gültiges ASI-Zertifikat gut sichtbar aus! Es ist ein Akt der Transparenz und weist euch als qualifiziert für die SI-THERAPIE aus - und das ist nicht selbstverständlich.

 

*Namen aus Datenschutzgründen geändert

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